Nachbericht zur (DF)² – Jahreskonferenz am 05.12.2024 in Berlin

Nachbericht zur (DF)² – Jahreskonferenz am 05.12.2024 in Berlin

Dekorativer Balgen für Kategorie 3

Gemeinwohl als Leitstern

Wie kann der Paradigmenwechsel zur Informationsökonomie gemeinwohlorientiert gestaltet werden? Das war das Thema der Jahreskonferenz des Deutschen Forums Dienstleistungsforschung am 5. Dezember in der Berliner Verdi-Bundeszentrale.

Zu Unrecht hafte dem Begriff Gemeinwohl ein angestaubtes Image an: „Die Orientierung am Gemeinwohl hilft uns gerade jetzt, einen Weg in die Informationsökonomie zu finden, und die Transformation erfolgreich zu bewältigen“, sagte Professor Andreas Boes bei der (DF)² Jahreskonferenz. Die Bundesrepublik sei durch den digitalen Wandel unter Druck geraten und es gebe gute Argumente, das Gemeinwohl gerade jetzt ins Zentrum des Paradigmenwechsels zu stellen und zu einem Fluchtpunkt für Innovationen von Geschäftsmodellen zu machen. Dies helfe auch dabei, der lähmenden Zukunftsangst mit einer dynamischen Zukunftsstrategie entgegenzutreten. „Worauf kommt es bei der Entwicklung gemeinwohlorientierter Zukunftsstrategien in der Informationsökonomie an? Welche verfolgen Sie?“, fragte deshalb Boes bei einer Fishbowl-Diskussion Claudia Nemat (Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom AG), Kerstin Oster (Vorständin bei den Berliner Wasserbetrieben) und Frank Werneke (Vorsitzender der ver.di).

„Dienstleistungsforschung neu denken: Wie können wir den Paradigmenwechsel hin zur Informationsökonomie in Wirtschaft und Gesellschaft gemeinwohlorientiert gestalten?“, das war das Thema der (DF)² Jahreskonferenz des Deutschen Forums Dienstleistungsforschung am 5. Dezember 2024 in der Berliner Verdi-Bundeszentrale. Organisiert wurde die Tagung von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München und den Berliner Wasserbetrieben. Die Dienstleistungsforschung sei zu einem Schlüssel bei der Gestaltung des öffentlichen Sektors geworden, sagte Dr. Tina Klüwer, Abteilungsleiterin „Forschung für technologische Souveränität und Innovationen“ beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in ihrem Grußwort. Sie wies darauf hin, dass das Ministerium mehrere Fördermaßnahmen unterstütze, damit die Innovationskraft der Dienstleistungsforschung gemeinwohlorientiert ausgerichtet werde. Nach Begrüßungsansprachen, Keynotes und Diskussionsrunde wurden verschiedene Themen wie „Gestaltung wertorientierter Geschäftsmodelle“, „Innovation im Ökosystem“, „KI und die Transformation von Arbeit“, „Gute Gestaltung von Dienstleistungsarbeit“ und „Datensicherheit im Service“ in Workshops vertieft.

Gemeinwohl als gesellschaftliches Ziel

Verdi-Vorsitzender Frank Werneke machte in seiner Eröffnungsrede deutlich, dass die Transformation derzeit alle Bereiche der Gesellschaft betreffe, ob Mobilität, Energieversorgung, Bildung oder Gesundheit: „Um die vielfältigen Umbrüche unserer Gegenwart erfolgreich zu meistern, kommt es in Zukunft besonders auf Dienstleistungen an“, sagte er. Mit der Informationsökonomie, die Wertschöpfung über Daten ins Zentrum stelle, würden Dienstleistungen zu einem entscheidenden Faktor in der Wirtschaft und im öffentlichen Sektor. Jetzt komme es darauf an, dass mit Innovationen Arbeits- und Lebensbedingungen aller verbessert werden. Und in diesem Zusammenhang müsse man sich fragen, was Gemeinwohl überhaupt bedeute. Werneke zitierte die renommierte Ökonomin Mariana Mazzucato, die Gemeinwohl als ein gesellschaftlich vereinbartes Ziel definiert, das alle anstreben und das jedem zugute kommen soll, wenn es um die Aufteilung von Risiken und Erträgen geht. Dagegen sei eine Wirtschaftsstrategie, die endliche Ressourcen immer schneller und in umweltschädigender Manier verbrauche und gleichzeitig wenig Rücksicht auf die Menschen nehme, weder ökologisch noch sozial nachhaltig, also keineswegs am Gemeinwohl orientiert, warnte Werneke.

Mehr Mut – auch zur Durchlässigkeit zwischen Unternehmen

Telekom-Vorständin Claudia Nemat erklärte in ihrer Keynote „Shaping Technology for all of you: Dienstleistungen im KI-Zeitalter neu gestalten“, was für sie eine „Human Centered Technology“ beinhaltet: Erstens müsse Technologie den Menschen dienen, für sie etwas verbessern. Zweitens dürfe sie keinen Schaden anrichten und drittens solle sie möglichst ressourcenschonend sein. Die Telekom entwickle auch Tools, die den Umgang mit KI demokratisierten, zum Beispiel den neuen, kostenlosen Chatbot „Magenta AI“ in der Magenta App, der Wissen für alle leicht zugänglich mache. Sie forderte weniger „German angst“, dafür mehr Lust am Entdecken und lebenslangen Lernen. Und vor allem Mut, neue Wege zu gehen. Zum Beispiel mit mehr Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Organisationen. So sei es eine Arbeitsmarktinnovation, dass die Telekom derzeit Mitarbeitende an die Deutsche Rentenversicherung vermittelt. Zum Thema Gemeinwohl sagte sie: „Ich glaube nicht, dass es einen Widerspruch zwischen Gemeinwohlorientierung und ökonomischem Erfolg gibt. Ich bin sogar davon überzeugt, dass der Erfolg notwendige Bedingung für ein starkes, finanzierbares Gemeinwesen ist.“

Qualifizierung der Mitarbeitenden

Kerstin Oster, Vorständin bei den Berliner Wasserbetrieben, beschrieb mit Beispielen aus der Praxis die zahlreichen Herausforderungen, denen sich ein Unternehmen mit kritischer Infrastruktur in der Transformation stellen muss. So habe man zum Beispiel erreicht, dass mit einem digitalen „Leit- und Infosystem Abwasser“ Rohrbrüche im 18.000 Kilometer langen Wasser-System Berlins schnell per IPad ausfindig gemacht werden können, wo früher umständlich Pläne durchsucht werden mussten. Zudem könnten durch Abwasser-Kontrollen Echtzeitdaten ausgewertet und Krankheitswellen früh erkannt werden. In ihrer Keynote „Digitale Transformation braucht Qualifizierung: Unsere Beschäftigten sind der Enabler der digitalen Transformation“ sagte sie, dass die Wasserbetriebe darauf bedacht seien, eine Balance zwischen wirtschaftlicher Effizienz und dem Wohl der Mitarbeitenden zu finden: „Es ist wichtig, dass wir uns glaubhaft bei den Kolleg:innen für das Gemeinwohl einsetzen“, folgerte sie. Die Transformation müsse im Einklang mit den Menschen geschehen und die Mitarbeitenden müssten dabei mitgenommen werden, zumal ihr Wissen wichtig für das Unternehmen sei. Kompetenzaufbau und Qualifizierung spielten aktuell eine wichtige Rolle, um die Digitalisierung zusammen mit den Mitarbeitenden voranzubringen.

Gemeinwohl und Wirtschaftlichkeit

In der anschließenden Fishbowl wurden gemeinwohlorientierte Zukunftsstrategien und ihre Erfolgsfaktoren diskutiert. Vorständin Nemat wies darauf hin, dass die Telekom in erster Linie ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen sei. Aber die Zeit, in der es hieß, der Sinn von Business ist Business, sei ihrer Meinung nach komplett vorbei. „Man kann als Unternehmen nicht erfolgreich sein, ohne das Gemeinwohl mitzudenken“, so Claudia Nemat. Kerstin Oster betonte, dass die Berliner Wasserbetriebe zwar in erster Linie dem Gemeinwohl verpflichtet sind, aber trotzdem auch wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen agieren müssten. „Wir erhalten ja das Geld der Bürgerinnen und Bürger, damit sollten wir wirtschaftlich arbeiten.“ Verdi-Chef Werneke stimmte zu, dass die Rechtsform der Eigentümerschaft nicht das entscheidende Kriterium für Gemeinwohlorientierung sei. Es gebe Kommunen, in denen Technologie nicht mitbestimmt, sondern hierarchisch eingeführt werde. Und es gebe private Unternehmen, die ihre Mitarbeiter vorbildlich mitnähmen. Wichtig sei eine gut funktionierende Mitbestimmungs- und Debattenkultur.

Für die Zukunftsstrategien forderte Nemat: „Wir brauchen mehr Lust am Machen.“ Sie beklagte den deutschen Hang „zum Mikromanagement, kombiniert mit einer enormen Risikoaversion“. Es gebe einen Wust an Regularien und Vorschriften, die eine schnelle Digitalisierung behinderten. Er tue sich schwer mit der allgemeinen Bürokratie-Kritik, meinte dagegen Werneke: „In Veränderungsprozessen gibt es auch das Bedürfnis nach Sicherheit.“ Und man dürfe auch Positives über Deutschland und seine Arbeitswelt erwähnen: „Wir haben eine hervorragende Forschungslandschaft, wir haben ein großes Engagement vieler Beschäftigter und ein relativ hohes Qualifikationsniveau. Das Land ist voller Stärken.“

Text: Eva Meschede

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