Kennenlernen der zehn Verbundprojekte, Fishbowl zu den übergreifenden Challenges und mehr.
Was wäre, wenn Künstliche Intelligenz die Qualität chirurgischer Eingriffe mit den gesammelten Erfahrungen aus vielen OP-Videos messen könnte? Und Ärzt:innen aus diesen Ergebnissen lernen könnten? Es würde höchstwahrscheinlich die Überlebenschancen von Menschen – etwa nach einer Darmkrebs- oder Herz-OP – verbessern. Denn Studien zeigen, dass das Risiko, nach einer Operation zu sterben, mit zunehmender Erfahrung der Chirurg:innen sinkt. KI kann dazu beitragen, dieses Wissen in deutschen OPs zu steigern. So der Plan des Forschungsprojekts SurgicalAI Hub Germany.
SurgicalAI ist eines von zehn Verbundprojekten im „HUB Datenorientierte Wertschöpfung nachhaltig gestalten“ (DaWeNa-HUB). Sie kommen aus verschiedensten Branchen, wie öffentlicher Dienst, Medizin, Tourismus, Industrie oder Bauwirtschaft. Alle arbeiten am Aufbruch in die Informationsökonomie und wollen nachhaltige, datenbasierte Innovationen entwickeln. Im DaWeNa-HUB werden sie in einer Mitmach-Community zusammenarbeiten, voneinander lernen und wissenschaftlich begleitet werden. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Zukunft der Wertschöpfung – Forschung zu Produktion, Dienstleistung und Arbeit“ und betreut vom Projektträger Karlsruhe (PTKA).
Am 26. Juni 2024 fand der Kick-off des DaWeNa-HUBs in der Eventlocation „Design Offices München“ statt. Barbara Langes und Christoph Peters begrüßten für die Projektverantwortlichen, das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München) und die Universität Kassel, fast 80 Teilnehmende – alle bereit, sich miteinander zu vernetzen. Jedes Forschungsvorhaben hatte fünf Minuten Zeit, sich mit einem Pitch vorzustellen. Darunter zum Beispiel ÖPGV, das mit einer zentralen Plattform den Austausch von Daten zwischen verschiedenen Stellen der öffentlichen Verwaltung erleichtern möchte; BePro-CEND, das Unternehmen im Werkzeugmaschinenbau dabei unterstützen will, eigene digitale Leistungsangebote für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu entwickeln; oder DIANA-T, das die Tourismusbranche digitalisieren und nachhaltig vernetzen will. (alle Projekte)
Am Nachmittag fasste Andreas Boes (ISF München) die gemeinsamen übergreifenden Themen der verschiedenen Projekte zusammen: Es gehe um den Paradigmenwechsel zur Informationsökonomie mit Geschäftsmodellinnovationen, organisationsübergreifenden Dateninfrastrukturen und Entwicklung neuer Kompetenzen. Für eine „Fishbowl“-Diskussion, bei der sich nach kurzen Impulsvorträgen alle Teilnehmer einbringen können, stellte er zwei Experten vor: Christoph Bornschein, der internationale Unternehmen und Marken bei ihrer Digitalstrategie berät, und Stefan Heumann, Managing Director der „Agora Digitale Transformation“, der sich vor allem mit dem öffentlichen Sektor befasst, sein Schwerpunkt: gemeinwohlorientierte Datenstrategien und Ökosysteme.
Christoph Bornschein stellte in einem kurzen Vortrag heraus, was nach seinen Erfahrungen ein neues Geschäftsmodell erfolgreich macht. „Gute Ideen haben viele“, sagte er. Aber das reiche nicht, um sich mit einem neuen Produkt auch durchzusetzen. Auf die Wettbewerbsfähigkeit komme es an. Um erfolgreich zu sein, müsse man sich mit der Analyse der Marktsituation beschäftigen. Drei Punkte seien dabei wichtig:
1. Die Frage, wie sieht der Markt eigentlich aus, welche Konkurrenz gibt es? Dazu sollte man zumindest den TAM (Total Addressable Market) kennen, also die größtmögliche Zielgruppe für sein Produkt.
2. Der USP (Unique Selling Proposition) müsste klar herausgearbeitet werden. Mit welchem Alleinstellungsmerkmal will man das zukünftige Produkt verkaufen? Was macht es einzigartig?
3. Mit einem MVP (Minimum Viable Product), einem mit Minimalaufwand hergestellten Demonstrator, sollte das Produkt frühzeitig bei potenziellen Kunden getestet werden können.
Stefan Heumann, der vor allem die öffentliche Verwaltung berät, kritisierte, dass dort Transformation meist mit Digitalisierung gleichgesetzt werde. Papierakten würden digital erfasst, Arbeitsstruktur und Hierarchien blieben die alten. Transformation sei es aber erst, wenn anders als früher mit den Daten gearbeitet werden könne, die Informationen auch geteilt würden. „Jemand, der in den 1960ern in Bonn, damals noch Westdeutschland, in einem Ministerium gearbeitet hätte, käme heute noch mit diesem Arbeitskontext zurecht. Die Computer sind ein bisschen schicker, aber es laufen zum Beispiel immer noch die Mappen rauf und runter für Abstimmungsprozesse, das hat sich nicht stark verändert“, sagte Heumann. Mittlerweile gebe es zwar Datenlabore in Ministerien, aber immer noch keinen übergreifenden Ansatz für die Bürokratie. Das zeigten auch die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Studie zur Arbeitsweise in den Bundesministerien, für die er 50 Interviews mit Ministerialbeamten über alle Hierarchieebenen hinweg geführt hat.
In der Fishbowl-Runde diskutierten die Teilnehmenden sehr engagiert vor allem die Frage, inwieweit sich wissenschaftliche Projekte, die für Nachhaltigkeit und Gemeinwohl forschen und entwickeln, einem marktwirtschaftlichen Kommerzialisierungsdruck aussetzen sollen oder wollen. Digitalstratege Bornschein empfiehlt, die Vorhaben auf jeden Fall möglichst schnell als MVP zu testen. In seinem Schlusswort sagte Stefan Heumann, er sehe riesige Chancen in den spannenden Projekten und viele Möglichkeiten, etwas zu verändern: „Ob es dann ein neues Geschäftsmodell ist oder ob die Verwaltung eine neue Form der Arbeit findet, um Bürger:innen bessere Dienstleistungen anzubieten: Ich wünsche euch allen viel Erfolg.“